Im Bann des Polarlichts in den kanadischen Northwest Territories
Eigentlich gibt es keinen Grund nach Yellowknife zu fliegen. Die Stadt mit dem seltsamen Namen „Gelbes Messer“ liegt abseits aller bekannten Reiserouten. Nördlich des 60. Breitengrades in den kanadischen Northwest Territories. Ziemlich weit oben also. Einsam ist es dort das ganze Jahr über und im Winter dazu eiskalt. Doch Yellowknife hat einen besonderen Schatz zu bieten. Und der ist nicht von dieser Welt.
Yellowknife, die Stadt in der Tundra-Wildnis, hat ihren Boom den Diamanten zu verdanken Foto: Birgit-Cathrin Duval
Japaner wissen um das Geheimnis. Deshalb kommen sie scharenweise her. Wegen der Lichter, der “Aurora Borealis”, die nachts am Himmel tanzen. Denn unter dem Nordlicht gezeugte Babys sollen angeblich besonders schön und intelligent werden, so glauben es die Japanerinnen. Das jedenfalls behaupten die Einheimischen. Um diesen Mythos hat sich in Yellowknife ein touristisches Geschäftsmodell entwickelt: die “Aurora Village”. Eine Dreiviertelstunde von Yellowknife entfernt ermöglicht sie ihren Besuchern entspannte Stunden beim Lichtergucken. In großen beheizten Tipis können es sich die Gäste gemütlich machen, es wird heißer Tee und japanische Nudelsuppe gereicht. Auf die beheizten, um 360 Grad rotierenden Liegestühle in der Wildnis ist der Manager von „Aurora Village“, Hideo Nagatani besonders stolz. Doch in dieser Nacht wollen die Lichter nicht so recht. Nur ein schwaches, milchiges Band, zieht sich wie eine Dunstglocke über den Nachthimmel. Die weit her angereisten Gäste scheint das nicht zu stören Es wird weiter in der Suppe gelöffelt, im Souvenirshop eingekauft und nebenbei eine Polarlichtdiashow angesehen. Früh morgens gegen drei Uhr fährt der Bus die schlaftrunkenen Touristen in die Hotels zurück. Europäer sind kaum darunter. Die buchen lieber individuelle Exkursionen bei anderen Anbietern.
Goota Shoona hört die Nordlichter flüstern
Nirgends sind die Nordlichter so intensiv, so farbenprächtig und spektakulär wie in den Northwest Territories. So steht es jedenfalls im Reiseführer. Das Phänomen entsteht durch den Auroragürtel, einem elektromagnetischen Feld, das wie ein Kranz Hunderte von Kilometern über dem Nordpol schwebt. Wenn geladene Teilchen des Sonnenwindes auf die Erdatmosphäre treffen, regen sie Luftmoleküle zum Leuchten an. In diesem Gürtel, der sich vom 60. Breitengrad bis zum Polarkreis zieht, ist die Polarlichtaktivität am höchsten. Und die Stadt Yellowknife liegt mittendrin.
Mystischer klingt eine Indianersage, die davon berichtet, das Nordlicht entstamme den Augen verstorbener Tiere, die ihre Seekraft in den Himmel geschickt haben, um den Weg der Menschen zu erleuchten.
Goota Shoona, eine Inuit-Künstlerin, die die Jahrhunderte alte Familientradition der Bildhauerei in ihrer Gallerie „Ashoona“, einer kleinen windschiefen Hütte in Yellowknife, fortsetzt, erzählt, als Kind vom Nordlicht berührt worden zu sein. Sogar das Flüstern der Himmelwinde will sie gehört haben.
Nach zwei fast durchwachten Nächten ohne Lichtschweif am Horizont wollen wir nun endlich den Tanz am Polarhimmel zu Gesicht bekommen – außerhalb der Stadt, an einem besonderen Ort. Das geht - der weiten Entfernungen wegen – nur per Wasserflugzeug.
Die zweimotorige „Twin Otter“ bringt uns in 45 Minuten Flugzeit zur Blachford Lake Lodge. Rund um Yellowknife gibt es zahlreiche „Fly In“-Blockhütten, die sich auf Hobbyfischer spezialisiert haben. Sie sind einfach, aber funktionell eingerichtet. Die Blachford Lake Lodge muss als Fünf Sterne Haus bezeichnet werden. Wie ein Schloss thront sie erhöht auf einem Felsvorsprung auf einer Insel. Rundherum gibt es nur Wasser und Wälder.
Vom Whirlpool aus Nordlichter gucken
Vor 30 Jahren, als Mike Freeland das Land kaufte, stand hier nur eine einzelne Blockhütte. Die Lodge hat er selbst gebaut und 1999 fertig gestellt. Rund um das Haupthaus hat Mike weitere Hütten errichtet, in denen Gäste als Selbstversorger Trapperurlaub erleben können. Mike und seine Frau Tessa legen besonders Wert auf ökologisches Wirtschaften. Das fängt beim Essen an und hört bei den kompostierenden Toiletten auf. Auf Komfort verzichten muss man nicht. Es gibt kabelloses Internet, eine Bar, Lounge, sogar einen Outdoor-Whirlpool. Für das Wohl der Gäste sorgt ein Koch samt Küchenmannschaft. Mehr Wildnis mit Luxus geht nicht. Die Lodge wird gerne für Firmentreffen angemietet. Selbst gestresste Manager kommen zur Ruhe – Handyempfang gibt es nämlich keinen. Dafür Natur pur – ohne Nachbarn aber mit Wildnis und Tieren – Bären und Wölfe eingeschlossen. Die Liste der Aktivitäten die Mike seinen Gästen anbietet ist lang – von Wandern und Fischen im Sommer bis hin zu Schlittenhundetouren, Schneemobilfahren oder Schneeschuhwandern im Winter.
Auf die Nordlichter folgt die nicht weniger spektakuläre Morgenröte auf der Blachford Lake Lodge Foto: Birgit-Cathrin Duval
Am späten Abend entzündet Mike vor dem Blockhaus ein Lagerfeuer. Wieder einmal müssen wir uns in Geduld üben. Über uns entfaltet der Sternenhimmel sein funkelndes Panorama, das schier trunken macht. Das Wort Nachtdunkel erhält eine neue Dimension. Der Himmel ist schwärzer als schwarz. Sterne blinken wie Diamanten auf schwarzer Seide gebettet.
Plötzlich explodiert der Himmel
Stunden später ist nicht nur das Feuer in sich zusammengefallen. Die Gäste ziehen sich schläfrig ins Haus zurück. Mike verspricht, alle zu wecken, sollten die Polarlichter noch erscheinen.
Dann sitze ich da, alleine unter dem Himmel, so groß so weit, so dunkel und bekomme fast Angst, er könnte auf einmal hinunterstürzen und mich verschlucken.
Es ist weit nach Mitternacht als sich etwas am Himmel tut. Ein dünner Nebel, erst denke ich, meine Augen spielen mir einen Streich. Doch urplötzlich explodiert der Himmel. Ein Schrei hallt durch die Nacht, alle sind hellwach und eilen nach draußen.
„Sie sind da, sie sind da, rufe ich wie von Sinnen. Schleier über Schleier huschen über den Himmel, reflektieren das Licht im See, mal halten sie inne als würden sie uns beobachten, um plötzlich Form und Bewegung zu verändern. Wie von Geisterhand erscheinen Spiralen, bilden Ornamente und tanzen quer über den Horizont. Dann fallen sie in sich zusammen und erscheinen an anderer Stelle neu. Ein Inferno des Lichts, milchig weiß bis grünlich schimmernd zieht sich quer über den Himmel. Eine magische Kollision der Elemente, eine Ouvertüre des Nordens, ein Fenster in eine neue Dimension. Staunend stehen wir da, finden keine Worte für das, was sich vor unseren Augen abspielt. Auf der Haut kribbelt es. Es fühlt sich an, als würde die Luft vor Energie vibrieren. Oder ist es nur die Aufregung, stiller Beobachter dieses Phänomens zu sein? Sollte Goota Shoona vielleicht doch recht haben? Die Aurora Borealis scheint unter mir die Haut zu kriechen. Es ist, als würde man vom Himmel geküsst. Ach, möge es doch nie wieder hell werden
Auf der Blachford Lake Lodge kann man vom Whirlpool aus die Nordlichter bestaunen Foto: Birgit-Cathrin Duval
Birgit-Cathrin Duval ist freie Journalistin und Fotografin und lebt im Schwarzwald. Seit über 20 Jahren bereist und schreibt sie über Kanada. Dabei hat es ihr insbesondere der Norden Kanadas angetan. Ihre Reportagen wurden mit dem „Keep Exploring Award of Excellence“ der Canadian Tourism Commission ausgezeichnet.